Nuntius erinnert an Flucht und Vertreibung

von Norbert Block

Die tragischen Ereignisse der Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen am Ende des Zweiten Weltkriegessollten sollten "sensibilisieren, sich mit einem großzügigen Geist auszurüsten angesichts der neuen Welle von Flüchtlingen, die vor Krieg und Gewalt vor allem im Mittleren Osten und in Afrika fließen und einen neuen Exodus vieler Menschen verursach, die Frieden suchen und ein besseres Leben“, sagte der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Dr. Nikola Eterović, bei  der Werl-Wallfahrt der katholischen Heimatvertriebenen und deren Nachkommen aus der Diözese Ermland, die flächengleich mit Ostpreußen war.

„In diesem Jahr erinnern wir uns an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren und den tragischen Verlust vieler Menschenleben und massiver Zerstörungen, die er verursacht hat und eine der größten Volksbewegungen der Geschichte auslöste, einen großen Exodus, der viele Millionen von Menschen erfasst hat“, betonte der Botschafter des Vatikans in Deutschland in seiner Predigt. „Neben der Erinnerung an den Schmerz und die Leiden, die all das mit sich brachte, danken wir gemeinsam Gott dafür, eine neue Heimat gefunden zu haben, wo ein neues Leben aufzubauen möglich wurde. Nicht zuletzt wurde dies durch die Gesellschaft und mit Unterstützung der Kirche ermöglicht.“

Nachfolgend die Predigt des Nuntius Erzbischof Dr. Nikola Eterović bei der Wallfahrt der Ermländer in Werl im Wortlaut:

„Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt.“ (Joh 15,1-2).
 
Verehrte Mitbrüder im Priester- und Diakonenamt, 
liebe Ordensleute, 
verehrte Ermlandfamilie, 
liebe Brüder und Schwestern!
 
Das Wort Gottes für diesen fünften Sonntag der Osterzeit lädt uns ein, über den Glauben zu reflektieren und Gott, dem Vater, Sohn und Heiligem Geist für unsere christliche Berufung zu danken. Wir sind Christen, weil wir innig vereint mit dem Herrn Jesus Christus sind. Er erinnert uns an diese Wahrheit: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Rebzweige“ (Joh 15,5). Als Christen existieren wir nur, weil wir von ihm, dem Weinstock, die Lebenskraft empfangen, die Gnade, die für unser persönliches, familiäres und soziales Leben nötig ist.
 
Ich bin dem Herrn dankbar für die Gelegenheit, mit Euch die 68. Ermlandwallfahrt zu begehen und dieser feierlichen Eucharistiefeier in dieser schönen Basilika von Werl vorzustehen, die Papst Pius XII. im Jahre 1953 zur Basilika Minor erhoben hat. Der erste Sonntag im Mai ist für viele Pilger, deren Wurzeln im Ermland liegen, zu einem festen Datum geworden, wenn sie sich um ihre himmlische Mutter versammeln, der Himmelskönigin. Auch ich bin mit Euch vereint als Pilger und komme mit dem Anliegen, meine Mission der Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, der Mutter Jesu Christi und unserer Mutter, der Mutter der Kirche anzuvertrauen. Als Vertreter des Heiligen Vaters Franziskus in der Bundesrepublik Deutschland überbringe ich Euch seine herzlichen Grüße. Am Ende dieser Heiligen Messe gebe ich Euch gerne im Namen des Bischofs von Rom und Hirten der Universalkirche den Apostolischen Segen.
 
Bei dieser feierlichen Gelegenheit möchte ich Euch drei Gedanken mitgeben, drei Anliegen, indem ich mich auf das soeben verkündete Wort Gottes beziehe und auf die marianische Antiphon Regina coeli, mit der wir uns in dieser Osterzeit an die Jungfrau Maria wenden. Das erste Anliegen ist: frohe Christen zu sein; das zweite: mit Freude die Auferstehung des Herrn Jesus zu leben; und schließlich drittens: mit Überzeugung und Freude den christlichen Glauben bezeugen. 
 
1.„Regina coeli laetare! Freu dich, du Himmelskönigin! Halleluja!“
 
In der Osterzeit jubelt die ganze Kirche: die auf dieser Erde pilgernde Kirche, deren Teil wir alle sind; die Kirche derer, die im Fegefeuer geläutert werden und die Anschauung des dreieinen Gottes erwarten; die triumphierende Kirche, die aus den verherrlichten Gliedern besteht, die schon die selige Schau genießen und Gott „von Angesicht zu Angesicht“ sehen (1 Kor 13,12). Die österliche Freude drückt sich vor allem in den Gesichtern der Heiligen aus, in besonderer Weise auf dem der Jungfrau Maria, der Mutter Jesu und unserer Mutter. Es handelt sich nicht nur um eine persönliche Freude, die der Mutter des Herrn eigen ist. Über Maria denkt man auch über die Freude der ganzen Kirche nach. Maria repräsentiert tatsächlich die Kirche, deren Urbild sie ist. Wie Maria, so hat auch die Kirche nach den Mühen des irdischen Lebens die Freude der Begegnung mit dem Herrn Jesus erreicht, ihrem Herrn und Gott. 
 
Liebe Brüder und Schwestern, auch wir werden einst verherrlicht sein, wenn wir, wie die Jungfrau Maria, mit Jesus Christus täglich unser Kreuz tragen und Ihm nachfolgen (vgl. Lk 9,23). Jesus selbst macht diese Mission möglich, nicht allein, weil sein Joch süß und die Last leicht ist (vgl. Mt 11,30), sondern weil wir in inniger Vereinigung mit ihm leben. So wiederholt der Herr für uns heute: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5). In der Taufe wurden wir mit Jesus Christus vereint, wir haben den Heiligen Geist empfangen und wurden Kinder Gottes, des Vaters. Das heutige Evangelium zeigt uns die Bedeutung des Vaters für unser christliches Leben. Der Vater zieht uns zu sich und vertraut uns Jesus Christus an. Er ist verherrlicht, wenn wir die Jünger seines Sohnes Jesus werden und wenn wir reiche Frucht bringen (vgl. Joh 15,8). Der Herr Jesus bezeichnet seinen Vater sodann als Winzer, der eine doppelte Funktion hat: „Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt“ (Joh 15,3). Trockene Reben, das ist alles, was unsere tiefe Vereinigung mit dem Herr Jesus Christus verhindert: Egoismus, Hochmut, Hass, Neid – mit einem Wort: die Sünde. Erlauben wir Gott, dem Vater, diese trockenen Reben unseres christlichen Lebens abzuschneiden, damit sie nicht länger das normale Wachstum behindern. Mehr noch, erlauben wir dem Vater auch, die Reben unseres Lebens zu reinigen, damit wir mit erneuerter Leidenschaft Gott und den Nächsten lieben können. Die Schwierigkeiten unterschiedlicher Art können auch den gesunden Organismus abhärten und eine neue Vitalität schenken, wenn man ihnen mit einem christlichen Geist begegnet. 
 
2.„Resurrexit sicut dixit! Er ist auferstanden, wie er gesagt hat! Halleluja“
 
Der tiefste Grund der christlichen Freude ist die Auferstehung des Herrn Jesus. Die Heilige Schrift gibt uns Zeugnis von diesem großen Ereignis, das in unserer Geschichte geschehen ist, aber deren Grenzen überschritten hat, um ein einmaliges Ereignis der Macht Gottes zugunsten der Menschen und des Universums zu werden. In der Osterzeit lädt die Kirche nicht nur dazu ein, über die Auferstehung zu meditieren, über die Erscheinungen des auferstandenen Herrn vor den Frauen und den Jüngern, sondern sie ermahnt uns, dieses große Ereignis zu erfahren und Teil daran zu haben. Das geschieht besonders durch das Wort Gottes. Der Herr Jesus lehrt im heutigen Evangelium: „ Ihr seid schon rein durch das Wort, das ich zu euch gesagt habe“ (Joh 15,3). Es folgt die Ermahnung: „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt“ (Joh 15,4). Schon in der Taufe werden wir Christen in den mystischen Leib des Herrn Jesus eingegliedert. Diese Gegenwart wird gestärkt durch die anderen Sakramente, besonders durch die Eucharistie. Die aktive Teilnahme an der Sonntagsmesse und an denen der vorgeschriebenen Festtage ist nicht allein ein Kirchengesetz, sondern vor allem – und so sollte es sein – eine geistliche Notwendigkeit der Christen, die im Herrn bleiben wollen.
 
In der marianischen Antiphon der Osterzeit heißt es: „Qui quem meruisti portare– den du zu tragen würdig warst Halleluja“. Das zeigt an, daß der auferstandene Herr derselbe ist, den Maria neun Monate unter ihrem Herzen getragen hatte. Der Herr, der in Nazareth gelebt hat, der in seinem öffentlichen Leben ganz Galiläa durchquerte, in den Synagogen lehrte, das Evangelium vom Reich verkündete und viele Krankheiten und Leiden im Volk heilte (vgl. Mt 4,23). Es ist derselbe Jesus, der verurteilt worden ist, gestorben war und begraben wurde. Dieser Jesus, der Mensch und Gott, ist der Auferstandene. Verherrlicht und aufgenommen in den Himmel, hat er uns dennoch nicht verlassen. Als der Herr, als Sieger über Sünde und Tod findet er sich inmitten seiner Jünger, inmitten seiner Kirche, und schenkt uns den Heiligen Geist, damit wir alle seine Jünger werden können, Zeugen seiner Auferstehung und seiner heilenden Gegenwart inmitten seines Volkes, seiner Kirche. Dazu hat der Heilige Johannes geschrieben: „Und dass er in uns bleibt, erkennen wir an dem Geist, den er uns gegeben hat“ (1 Joh 3,24). 
 
3.„Ora pro nobis Deum! Bitte Gott für uns. Halleluja!“
 
Die Kirche wendet sich an die selige Jungfrau Maria, damit sie sich für ihre materialen und geistlichen Bedürfnisse einsetzt. Im Licht des heutigen Evangeliums bitten wir die Muttergottes besonders darum, daß sich in uns verwirklichen möge, was der Heilige Johannes geschrieben hat: „Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit“ (1 Joh 3,18). In der Folge zeigt uns der Apostel, wie wir die Wirksamkeit unseres christlichen Glaubens überprüfen können: „Das ist sein Gebot: Wir sollen an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben, wie es seinem Gebot entspricht“ (1 Joh 3,23). Und der Heilige Johannes fügt hinzu: „Wer seine Gebote hält, bleibt in Gott und Gott in ihm“ (1 Joh 3,24). Im Evangelium begegnet uns dieselbe Idee: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht“ (Joh 15,5). 
 
Eine der ansteckendsten Früchte des Christentums ist die Freude. Über den Heiligen Paulus lädt auch uns Gott ein: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch! Eure Güte werde allen Menschen bekannt. Der Herr ist nahe. Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott! Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren“ (Phil 4,4-7). Papst Franziskus fordert alle Christen auf, die Freude des Evangeliums zu leben. Der Titel seines Apostolischen Schreibens Evangelii gaudium ist wie ein Programm des christlichen Lebens. Leider gibt es in unserer Welt viele Übel, die Kriege, der Terrorismus, die Armen, die neue Sklaverei. In diesem Jahr erinnern wir uns an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren und den tragischen Verlust vieler Menschenleben und massiver Zerstörungen, die er verursacht hat und eine der größten Volksbewegungen der Geschichte auslöste, einen großen Exodus, der viele Millionen von Menschen erfasst hat. Auch Ihr beziehungsweise Eure Vorfahren habt Flucht und Vertreibung aus dem Ermland nach dem Kriegsende erlebt. Neben der Erinnerung an den Schmerz und die Leiden, die all das mit sich brachte, danken wir gemeinsam Gott dafür, eine neue Heimat gefunden zu haben, wo ein neues Leben aufzubauen möglich wurde. Nicht zuletzt wurde dies durch die Gesellschaft und mit Unterstützung der Kirche ermöglicht. Diese tragischen Ereignisse sollten sensibilisieren, sich mit einem großzügigen Geist auszurüsten angesichts der neuen Welle von Flüchtlingen, die vor Krieg und Gewalt vor allem im Mittleren Osten und in Afrika fliehen und einen neuen Exodus vieler Menschen verursachen, die Frieden suchen und ein besseres Leben. 
 
Ja, in der Welt gibt es viele Probleme und Schwierigkeiten. Aber nichts und niemand soll uns in letzter Instanz die christliche Freude rauben.  Indem wir dem Herrn Jesus Christus vertrauen, können wir mit dem Heiligen Paulus erklären: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? Doch all das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,35.37-39).
 
Vertrauen wir uns der Fürsprache der Gottesmutter Maria an, der Himmelskönigin, und erbitten wir vom dreieinen Gott die Gnade, immer freudige Christen zu bleiben, immer vereint im Herrn Jesus Christus zu sein, damit wir Zeugen seiner Auferstehung sind und reiche Früchte des Heils bringen können.

Amen."

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