Predigt in Werl wird zu seinem Testament

von Norbert Block

Bischof Maximilian Kaller bei der Predigt am 29. Juni 1947 in der Wallfahrtsbasilika in Werl. Foto: Archiv Ermlandfamilie

Königstein im Taunus/Werl. Am Hochfest der Apostelfürsten Petrus und Paulus predigte Bischof Maximilian Kaller am 29. Juni 1947 - also eine Woche vor seinem Tod am 7. Juli - in Werl vor zehntausenden Flüchtlingen und Heimatvertriebenen, die unter widrigsten Umständen und unvorstellbarem Mühen nach Werl gekommen waren. Bischof Kaller fühlte sich an jene beeindruckende Zahl von Pilgern erinnert, die seinem Aufruf zu den großen Glaubenskundgebungen im Ermland gefolgt waren. Ob er geahnt haben mag, dass diese seine Worte zu einer Art geistlichem Testament werden sollte. Wir dokumentieren den Wortlaut seiner Predigt.

Tragt den Glauben, tragt die Liebe hinaus in das Land!

"Meine lieben heimatvertriebenen Brüder und Schwestern!

Mit großer Freude und Jubel im Herzen haben wir uns an diesem Wallfahrtsort der Mutter Gottes versammelt. Herzlich begrüße ich euch. Ich begrüße euch im Namen des hochwürdigsten Herrn Erzbischofs, der den Flüchtlingen große Liebe entgegenbringt; der für sie sorgt, wie er immer es kann; der selbst hierher geeilt wäre, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Ich begrüße euch im Namen der hochwürdigen Herren Patres dieser Wallfahrtskirche. Sie freuen sich über jede Wallfahrt; aber über diese, die so viele Tausende von Menschen umfasst, ist ihre Freude ganz besonders groß.

Gruß vom Heiligen Vater

Ich begrüße euch, meine Lieben, in ganz besonderer Weise im Namen des Heiligen Vaters. Ihr wisst, dass er mir die Aufgabe übertragen hat, für euer Seelenheil in besonderer Weise zu wirken. Seine Liebe ist bei euch. Als ich im November des vergangenen Jahres bei ihm weilte und ihm Bericht erstattete über die Nöte der Heimatvertriebenen, sprach er mit ganz besonderer Liebe über euch; er trug mir seine Grüße an euch auf und sagte, er hätte schon lange allen in Deutschland, besonders den Heimatvertriebenen, helfen wollen; aber bis dahin war ihm jegliche Hilfe unmöglich. Er wollte, sagte er, nunmehr in großzügigster Weise sorgen. Und er hat zum großen Teil sein Versprechen schon erfüllt. Seid, meine Lieben, überzeugt, der Heilige Vater liebt euch und freut sich, dass ihr so eifrig seid im Dienste Gottes trotz der vielen Hindernisse, die euch entgegenstehen. Er sendet euch seinen apostolischen Segen, den ich euch am Ende der Predigt erteilen will. Ich bin ja einer von euch. Ich begrüße euch, meine Lieben, auch in meinem Namen.

Ich bin ja einer von euch

Ihr Schlesier; wohl die meisten von euch stammen aus meinem Heimatland. Ich begrüße euch, meine lieben Ermländer, meine lieben Diözesanen. Wie freue ich mich, wieder einmal mit euch zusammen sein zu können; und wenn es auch nicht möglich ist, mit jedem Einzelnen Worte zu wechseln, seid überzeugt, unsere gegenseitige Liebe besteht fort, so wie sie immer war, so wird sie auch bleiben. Ich begrüße auch alle anderen, die ihr aus den anderen Teilen des Ostens gekommen seid. Wir alle tragen das gleiche Los, das gleiche Kreuz, wir alle wollen es tragen in Demut und Gottvertrauen.

Gottvertrauen auf Christus den Herrn

Meine Lieben! Wir feiern heute das Fest der Apostelfürsten Petrus und Paulus. Was haben diese beiden Apostelfürsten uns zu sagen? Im Evangelium hörten wir eben die Frage des göttlichen Heilandes: „Für wen halten die Leute den Menschensohn?“ Die einen sagten für Jeremias oder für einen anderen Propheten. Der Heiland stellt an sie die Frage: „Für wen haltet ihr mich?“ Und Petrus antwortet: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Das war die Antwort des hl. Petrus. Welcher Glaube spricht daraus! Welches Gottvertrauen! So muss es auch bei uns sein. Unser Ein und Alles ist Christus, unser Herr. Er ist unser König, er ist unser Herr! Er lenkt unsere Schritte, er beherrscht unser ganzes Leben!

Wir wollen unser Leben nicht in zwei Teile teilen, das eine Leben, das am Sonntag dem Herrn gehört, und das andere Leben, dem wir in der Woche nachgehen. Für uns gibt es nur einen Weg im Leben: Christus, der gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben!“ So wie Petrus gesagt hat: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“, so wollen auch wir in all unserer Bedrängnis, in all unserer Not immer wieder sagen: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! Du bist und bleibst mein Herr und mein Gott!“ Ihr wisst, wie der Herr dem Petrus den Auftrag gab: „Fahre hinaus in die Tiefe, und wirf das Netz zum Fange aus!“ Petrus antwortete: „Auf dein Wort will ich das Netz auswerfen!“ Das ist Gottvertrauen - und dieses Gottvertrauen müssen auch wir haben. Das ist das Fundament unseres Lebens: Gottvertrauen auf Christus, den Herrn! Wenn es uns noch so schlecht geht, und wenn wir noch so menschenunwürdig untergebracht sind und unsere Ernährung menschenunwürdig ist, und wenn wir manchmal Hoffnungslosigkeit in unserem Leben haben: Wir vertrauen auf den Herrn! Der Herr hat gesagt: Wenn ihr Glauben habt, d. h. Vertrauen, dann könnt ihr alles. Wenn ich zu diesem Berge spreche: „Tue dich hinfort von hier“, so hebt sich der Berg und wird sich forttun.

Ich frage euch: Haben wir ein solches Gottvertrauen, haben wir einen solchen Glauben? Ein solcher Glaube aber ist notwendig. Heute am Feste der Apostelfürsten Petrus und Paulus sollen wir diesen Glauben, dieses Gottvertrauen von neuem in uns beleben und stärken: Heute soll nicht Trauer in uns herrschen, heute sollen wir Gott danken, laut jubeln, weil er uns das kostbare Geschenk des Glaubens gegeben hat.

Das Kreuz ist eine kostbare Gabe

Unsere heilige Kirche singt in den Gebeten des heutigen Tages: „Heut hat Petrus, das Haupt der Kirche, seinen Lebenslauf auf dem Kreuzesstamme beendet, Alleluja! Heut hat Paulus durch die Enthauptung seinen Lebenslauf vollendet, Alleluja!“ Seht, so singt die Kirche über das Kreuz, so singt die Kirche über den Märtyrertod, Alleluja, Alleluja, Alleluja! Was sagt uns das? Das sagt uns: Das Kreuz soll nicht eine furchtbare drückende Last für uns sein, das Kreuz soll ein besonderes Geschenk Gottes sein. Ich kann darüber nicht viel sagen, nur das eine: Der hl. Paulus sagt: „Ich will mich in nichts rühmen als einzig und allein in Christus und diesem als Gekreuzigten. Ich will nichts anderes haben, ich achte alles für gering, um allein Christus zu gewinnen und diesen als Gekreuzigten.“

Ja, meine lieben Heimatlosen, uns alle drückt das Kreuz. Keiner von uns ist ausgenommen. Das Kreuz ist doch von Gott geschaffen. Das Kreuz ist eine kostbare Gabe. Wir müssen es nur verstehen, und wir müssen es annehmen, so wie Christus es uns auferlegt hat. Christus hat sein Kreuz freiwillig auf sich genommen. Christus hat durch sein Kreuz die größte Tat der Weltgeschichte vollbracht: Die Erlösung! Und so ist für uns das Kreuz die größte Tat in unserem Leben. Wenn wir später einmal zurückschauen werden auf diese Zeit, in der wir Kreuzträger waren, werden wir erkennen - wenn wir das Kreuz in rechter Gesinnung tragen -, dass dieses für uns eine Zeit des Segens war. Darum sage ich euch, meine Lieben, nehmt das Kreuz auf euch, so wie Petrus es getan hat. Symbolisch wurde heute ein großes Kreuz in die Kirche getragen. Es liegt am Altare. Das bedeutet: Wir Heimatvertriebenen, wir tragen unser Kreuz zum Altare, zum göttlichen Altare, und wir geloben, unser Kreuz so zu tragen, wie der Heiland es will. Mag kommen, was da will. Wir tragen das Kreuz, weil Gott es so will.

Die Liebe, sie trägt alles

Was lehrt uns der hl. Paulus? Nur eines will ich euch nennen. Der hl. Paulus singt das große Lied der Liebe: „Wenn ich die Sprachen der Engel und Menschen redete, hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz, eine klingende Schelle. Und wenn ich alle Weisheit besäße und alle Wissenschaft, hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Wenn ich alle meine Güter den Armen austeilte, ja selbst wenn ich meinen Leib zum Verbrennen hingäbe, hätte aber die Liebe nicht, so nutzt es nichts. Die Liebe ist geduldig und sanftmütig, sie lässt sich nicht erbittern. Die Liebe, sie trägt alles, sie leidet alles, sie duldet alles.“ So sagt der hl. Apostel Paulus!

Schenkt allen eure Liebe

Meine Lieben! Das ist für euch das Wichtigste in Eurem Leben. Ich weiß, dass ihr alle nach Liebe verlangt. Es gibt keinen Menschen, der nicht lieben möchte. Aber ihr werdet mir Recht geben. Machen wir oft nicht unsere Liebe abhängig von der Liebe der anderen? Ihr Lieben, wir als Heimatvertriebene, wir beklagen uns so oft darüber, dass wir nicht das nötige Verständnis finden, dass wir so wenig Liebe spüren. Haben wir aber schon daran gedacht, dass zuerst wir Liebe schenken müssen? Wie hat der göttliche Heiland geliebt? Hat er darauf gewartet, dass wir ihn zuerst lieben? Nein, Gott hat uns zuerst geliebt, und darum verlangt er von uns, dass auch wir zuerst lieben. Darum bitte ich euch, meine Lieben alle, öffnet euer Herz, lasst die Liebe aus eurem Herzen hervorquellen. Schenkt all denen, bei denen ihr wohnt, eure Liebe. Ich sage euch, diese eure Liebe wird Wunder wirken; sie wird die Liebe, die vielleicht noch in den Herzen der anderen verschlossen ist, wecken, und es werden auch auf euch die Ströme der Liebe kommen. Darum bitte ich euch, öffnet euer Herz, tut es weit auf der Liebe zum Nächsten; zu euren heimatvertriebenen Brüdern und Schwestern, aber in gleicher Weise auch zu allen denen, mit welchen ihr jetzt in Berührung steht. Von der Liebe heißt es: „Sie trägt alles, sie leidet alles, sie duldet alles.“

Seid Apostel, im Glauben und in der Liebe!

Noch ein Wort möchte ich euch sagen, an das uns das heutige Fest erinnert: - Wir feiern das Fest der Apostelfürsten - Apostel sein! Dazu hat der Herr sie berufen. Er sagte ausdrücklich zu ihnen: „Nicht ihr habt Mich erwählt, sondern Ich habe euch erwählt, damit ihr hingehet, damit ihr Früchte bringet und eure Früchte bleiben.“ Der Herr hat die Apostel berufen. Auch euch hat der Herr gerufen. Einmal sprach der Herr zum jüdischen Volke. Es waren nicht die Pharisäer da, es waren nicht die Schriftgelehrten, sondern das einfache jüdische Volk beisammen, von dem die oberen Schichten nicht viel hielten. Der Heiland sprach zu ihnen: „Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt. Man stellt ein Licht nicht unter den Scheffel, sondern man stellt es auf den Leuchter, damit es alle sehen, die im Hause sind“, und er fährt fort: „So lasset also auch euer Licht unter den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und den Vater preisen, der im Himmel ist!“

Und so sage ich euch: Auch ihr seid berufen, Apostel zu sein! Gerade ihr Heimatlosen, ihr sollt Apostel sein! Ich will euch einen Beweis dafür geben, dass schon so manche unter euch Apostel sind: Vor einigen Wochen hatte ich Gelegenheit, sowohl mit dem hochwürdigsten Herrn Erzbischof von Paderborn, als auch mit dem hochwürdigsten Herrn Bischof von Osnabrück zu sprechen. Sie kamen beide von Firmungsreisen aus der Diaspora zurück und sprachen mit Bewunderung davon, wie so manche Katholiken in der Diaspora wunderbare Apostel sind. Wie sie die ganze Gemeinde neu aufbauen: wie sie neues katholisches Leben in diese Gemeinden hineinbringen. Dort, wo früher nicht ein Hauch von Glauben und nicht ein Hauch von Liebe zu spüren war! Durch die Heimatlosen wurden in diese Diaspora der Glaube und die Liebe gebracht.

Den eigenen Glauben in der Welt zeigen

Seht, ihr alle seid Apostel, und jeder von euch soll das Licht des Glaubens leuchten lassen. Ich frage euch: Könnt ihr das? Wenn ich euch fragen würde: Könnt ihr predigen? Dann würdet ihr wohl sagen: Das kann ich nicht! Aber wenn ich euch frage: Könnt ihr glauben? Ihr müsst antworten: Ja! Könnt ihr diesen Glauben auch zeigen? Ihr müsst sagen: Ja! Ich frage weiter: Könnt ihr lieben? Ihr müsst antworten: Ja! Darum seid Apostel im Glauben, seid Apostel in der Liebe! Sorgt dafür, dass in der Diaspora durch euch neues Leben erblühe. Dann habt ihr eure Aufgabe erfüllt. Warum hat Gott es zugelassen, dass wir in die Diaspora kamen? Schon vor Tausenden von Jahren wurde in der Hl. Schrift die Antwort darauf gegeben: Damit ihr kündet von den Großtaten Gottes! Das ist eure große Aufgabe. Gott hat euch dazu bestimmt. Der Hl. Vater sagt dazu: „Wir danken alle in Demut auf den Knien Gott dafür, dass er gerade in unserer Zeit so viel Laienapostel erstehen ließ, die mit der Sorge um das eigene Seelenheil verbinden die Sorge um das Seelenheil der anderen.“

Die Jugend ist das Salz der Erde

So fordere ich euch alle auf: Werdet Apostel!

Aber einige von euch rufe ich ganz besonders auf. Das ist unsere Jugend, das sind unsere jungen Männer, das sind unsere jungen Mädchen. Ich weiß, wie von euch in der Diaspora gearbeitet wird. Ich hielt mich ein Jahr lang in Halle auf, einer Stadt, die ungefähr nur sechs Prozent Katholiken hat. Dort wurden nach der Kapitulation drei männliche Jugendgruppen gebildet. Seit dieser Zeit sind daraus 18 geworden. Das heißt Apostel sein! Die Jugend ist das Salz der Erde, das Licht der Welt. Mit ihrer Energie, mit ihrer Begeisterung, mit ihrer jugendlichen Frische und Kraft ist sie in besonderer Weise berufen, Apostel zu sein; katholisches Leben zu wecken.

Und so fordere ich euch, meine lieben Jungmänner und Jungfrauen, auf: Werdet Apostel! Ich habe ein großes Vertrauen zu euch; ich sage das, obwohl manche anderer Meinung sind. Man spricht heute von einer Verwahrlosung der Jugend. Für einen Teil stimmt das sicher. Aber heute gibt es unter unseren Jungmännem und Jungmädchen eine größere Zahl als früher solcher, die mit brennender Liebe nichts anderes sehnlicher wünschen, als für Christus einzustehen. Und das erwarte ich von euch, meine lieben Jungmänner und Jungfrauen. Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt! Tragt den Glauben, tragt die Liebe hinaus in das Land. Ihr werdet so erkennen, dass eure Vertreibung aus der Heimat ein großer Segen werden kann, wenn ihr sie so versteht, wie Christus es haben will. Gott segne euch alle, damit ihr diese Worte versteht, danach handelt und dadurch glücklich werdet. Amen."

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